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Vom Essen und Trinken

Written by My Invisible Eye on . Posted in Explore, My Invisible Eye

Als Angehöriger des lyrischen Prekariats mit zweifelhaftem Budget ausgestattet, bin ich in Istanbul nicht sonderlich viel ausgegangen. Was Mahlzeiten belangt, agierte ich weit überwiegend als Selbstversorger in meiner kleinen, mäßig ausgestatteten Küche. Viele Zutaten der türkischen Küche hatte ich bereits in den vergangenen Jahren in meinem Kölner Kaufsaray gefunden und zuhause getestet, andere, etwa Hammelhoden, mochten sie auch noch so halal geschlachtet sein, ließ ich bis heute aus. Fisch ist in Istanbul günstiger als Fleisch, das freute mich und die Händler am Fischmarkt von Karaköy. Durch mein unsichtbares Auge erblickte ich mich regelmäßig mit einem Säckchen fangfrischem Bonito oder Garnelen beim Erklimmen des Galatahügels. Was mir sonst noch besonders gefiel:

– İçli Köfte, konisch auslaufende, frittierte Bulgurkugeln, mit Fleisch und Zwiebeln gefüllt. Google Translate fand die schöne Übersetzung „Empfindlicher Klops“. Schwer ergründliche, sehr orientalische Gewürzmischungen runden diesen wunderbaren Snack.

– Çerkez Tavuğu, das berühmte tscherkessische Huhn, kommt als pürierte Paste aus Hühnerfleisch, Walnüssen, Paprika, sowie weiteren Grundzutaten und Gewürzen. Eine perfekte Vorspeise.

– Midye Dolma sind gekochte und mit gewürztem Reis gefüllte Miesmuscheln. Sie werden mit einem Spritzer frischer Zitrone serviert. Die Muscheln können am Straßenrand stückweise geordert werden, der Verkäufer präpariert Tier um Tier und reicht die geöffneten Schalen einzeln an.

– İmam Bayıldı sind fein mit Gemüsen und Gewürzen gefüllte, geschmorte Auberginen. Sie werden als Vorspeise oder Beilage gereicht und schmecken einfach nur großartig. Der Name des Gerichts bedeutet denn auch „Der Imam fiel in Ohnmacht“.

– Tantuni: in mächtigen Spezialpfannen gegarte, raffiniert geradeaus geschärfte Rind- oder Kalbfleischwürmchen mit Tomaten, Zwiebeln, Petersilie in Yufkateig gerollt. Dazu wird Salat aus Rauke, Brunnenkresse und Sauerampfer gereicht. Sollte eines Tages den deutschen Döner ablösen.

Von türkischem Döner, dessen Machart sich vom deutschen in zentralen Punkten unterscheidet, hielt ich mich fern, zumal mein Nachbar einer schweren Dönervergiftung erlag. Zwar feierte er nach zwei Tagen bereits Wiederauferstehung, doch in der Zwischenzeit machte er einen wahrlich gespenstischen Eindruck. In den türkischen Döner gelangt eher wenig Fleisch (und doch genug, um zu überschlagen, daß die billigen Stückpreise ungute Rückschlüsse auf die Grundqualität nahelegen), zumeist vom Huhn, desweiteren Fritten, Gewürzgurken, Mayonnaise und ähnliche Überraschungen. Das Konkurrenzprodukt ist ein horizontaler Spieß, Kokoreç. Um einen Fettkern werden Lammdärme gewickelt und angeröstet. Sind die Darmschnüre außen schön kross, werden sie abgehobelt, zerkleinert und mit Zwiebeln und Tomaten serviert. Obgleich ich als Kind durchaus Affinität zu „Sauren Nierchen“ und insbesondere zu Hühnerherzen besaß, halte ich mich heute bei Innereien meist zurück.

Was ich als Kind hingegen ablehnte, war Milchreis, den ich in Istanbul in seiner Ausprägung als Sütlaç beinahe täglich mit Begeisterung löffelte. Überhaupt war ich angetan von den Desserts: Tavuk Göğsü und Kazandibi sind klebrige Reismehlpuddings, im erstern Fall mit Hühnerfasern untermengt. Berichtet wurde mir von Aşure, einer suppen- oder auch klumpenartigen Süßspeise aus Bohnen, Kichererbsen, Rosinen etc, die zu Festanlässen bereitet würde und das erste Gericht, das Noah nach Verlassen der Arche seinerzeit als Resteessen verteilt habe, gewesen sein soll. Ganze Ladenzeilen widmen sich in Istanbul der Süßwarenversorgung. Es gibt europäisch anmutende Zuckerwerkläden mit Profiteroles und Tiramisu sowie grell überzogenen, mit heftigen Geliermitteln gesteiften Törtchen, und dann wieder Baklava-Bäcker mit ihren sirupgetränkten Auslagen und Lokumstände, durch deren vielfältige Proben sich zu naschen einen schönen türkischen Sport vorstellt.

In meiner Straße hatte gerade ein Restaurant eröffnet, dessen Programm die türkische Variante von „Futtern wie bei Muttern“ darstellte. Dort gab es Linsen-, Brennessel-, Joghurt- und Hackbällchensuppen mit oder ohne Reiseinlage, und zu den gefüllten Gemüsen auf Wunsch einen kräftigen Schlag Naturjoghurt, ein Produkt, auf das die Türken sich deutlich besser als wir Deutschen verstehen. Das Restaurant unterschied sich von einem klassischen türkischen Arbeiter-Schnellimbiß (Lokanta) eigentlich nur aufgrund seiner ökomensalastigen Einrichtung und dem entsprechenden Publikum.

Worauf die Türken sich deutlich schlechter als die Deutschen verstehen, ist Bier. Auf der Zutatenliste des türkischen Premium Pils Efes ist der verdächtige Begriff Şeker (Zucker) gelistet, auf dem Wein lasten 70 Prozent Steuern, das heißt ein türkischer Wein um 10 Euro ist ordentlicher deutscher Supermarkt-Ware um 3 bis 4 Euro vergleichbar: der türkische Weinbau findet statt und befindet sich im cabernetkopierenden, vanilligen Aus- und Aufbau. Was ich nicht zu testen bekam, war das Wintergetränk Boza, ein leicht vergorenes Bulgursäftlein, über das sehr widersprüchliche Aussagen bestehen. Dafür probierte ich Şalgam, einen recht präsenten, angeblich höchst gesunden, fermentierten Steckrübensaft mit kräftiger Chilinote, der zu Fisch, Fleisch und Rakı getrunken wird, wobei er halbwegs Sinn macht – ohne Fisch, Fleisch oder Rakı ist er höchst entbehrlich. Salep schließlich ist ein Heißtrunk auf Basis zerstoßener Knabenkrautwurzel und, darin wohl Boza ähnlich, von unterschiedlichster Konsistenz und Geschmack (meine Nachbarin meinte: spermaartig), ich erwischte auf der Fähre eine vanillemilchige Version, die nach Fertigmischung roch und wohl für Kinder gedacht war.

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