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Topkapı

Written by My Invisible Eye on . Posted in Explore, My Invisible Eye

Den Topkapı-Palast kannte ich bereits aus Köln-Bilderstöckchen. Es handelt sich dabei um einen gleichnamigen Döner-Imbiß unterhalb der beiden Hochhäuser, bzw. eine Pizzeria, die ich nie betreten habe, weil mir hinter den verglasten Scheiben eine Spur zuviel hüzün, die türkische Tristesse, lauerte. Als ich wenige Tage vor meiner Abreise nach Istanbul an den Hochhäusern von Bilderstöckchen vorüberradelte, erinnerte mich das Namensschild des Grill-Restaurants an den wunderbaren Spielfilm Topkapi mit Melina Mercouri, Maximilian Schell und Peter Ustinov, den ich, kaum in Istanbul angelangt, im Netz anschaute. So kam es, daß ich den originalen Topkapı-Palast mittels eines raffinierten Zeitsprungs zuerst im Jahre 1964 sah.

Der Film beginnt mit einer psychedelisierten Jahrmarktszene, sowie einer Führung durch das Serail. In beiden Auftaktszenen stellt Melina Mercouri sich als Diebin vor, die den berühmten (oder erst durch den Film richtig berühmt gewordenen) smaragdbesetzten Dolch aus der Palast-Schatzkammer zu stehlen beabsichtigt. In einer Reihe schnell geschnittener Bilder folgt ein Istanbul-Mosaik, das mich in diegleiche Stimmung wie „Zorn des Meeres“ von Yaşar Kemal versetzte: überladene Lastenträger auf der alten Galatabrücke, Holzhäuser und pittoreske verbrechentriefende Bosporusecken in träumerisch verschwommenem Technicolor – klassische Mosaiksteine, parfümiert mit aufregenden Abenteuerdüften, Mosaiksteine, die im heutigen Stadtzentrum rar geworden sind und die mir bereits zu Beginn meines Aufenthalts zu einer wehmütigen Erinnerung verhalfen, einem herzhaften Trugbild, einem Vorab-Abziehbildchen, das ich hinterher in meinen Setzkasten mit den besterhaltenen Klischees aus aller Welt aufnahm.

Regisseur Jules Dassin zitiert in Topkapi fortab sein Meisterwerk Rififi, Peter Ustinov glänzt in der Rolle des schmierigen Schmocks, Melina Mercouri gibt die gierende Sexbombe mit rollenden Lippen und rauher Lache, Maximilian Schell („das muß doch irgendwie gehen“) das Schweizer Pfadfinder-Gentleman-Genie, der Plot entwickelt sich getragen, aber voller Wortwitz, einmal fällt auf Deutsch das mir bis dato unbekannte Schimpfwort „Scheißkopf“. Während eines großen Öl-Ringkampf-Fests macht sich die Diebestruppe auf den Weg zum Palast, um in gewitzter (und später in Mission Impossible adaptierter) Manier besagten Smaragddolch zu stehlen. Als ich einige Wochen später den Topkapı-Palast besuchte, mußte ich ständig auf die Dachkonstruktion schauen, in der Hoffnung, dort heutige Outlaws bei Kletteraktionen zu erblicken und der Schauspieler Ünal Silver erzählte mir, daß er als Junge bei Topkapi als Statist mitspielen durfte, weil er in Drehort-Nähe aufgewachsen war: „Ich bin da in irgendeiner Szene zu sehen, wie ich aus dem Bild laufe.“

Am Filmende verrät eine verirrte Palmtaube die Diebe, eine Pointe ganz nach meinem Geschmack, wo ich den Vögeln in Istanbul doch so ziemlich alles zutraue, weil meiner sturen Ansicht nach sie (und nicht Bürgermeister Kadir Topbaş) die Stadt regieren. Und gehört ihnen nicht längst alles, wonach die Menschen streben? So prüfte ich in Istanbul, das darf man keinem Vogel erzählen, Dutzende Aussichtspunkte und befand sie für gut. Die edelsten aller schönen Aussichten bietet zweifellos der Topkapı-Palast. Das Marmarameer und den Bosporus zu Füßen, den Seerosenteich und Prinzleins Bolzplätze, ließ ich unter der Goldkuppel des Fastenbrechen-Pavillons meine Gedanken zu sultanischen sich aufblähen: ungeheurer Besitztum, der unter Hauen und Stechen verteidigt und ausgeweitet werden muß, Angst und Allmacht, Kindermord und lyrische Mondnächte. Der Gedankenturban wurde mir schnell zu drückend und so lustwandelte ich davon und zerstreute mich, dieweil Gewitter übers Meer eilten, in den Palasthöfen.

Faszinierend fand ich neben der unübertrefflichen Lage des Serails seine kalligrafischen Kachelarbeiten, denen auch ohne Kenntnis der arabischen Schriftzeichen Bedeutungen zu entnehmen waren: verschlungene Sounds von einiger Göttlichkeit, gedrechselte Pegelschläge menschlicher Verzückung. Nie zuvor habe ich schönere Schriftkunstarbeiten gesehen. Im Beschneideraum ereilte mich die perverse Vorstellung eines riesigen Haufens Vorhäute. (Nach den endlosen Zeremonien würden sie in Schubkarren geschippt und zu geheimen Zwecken an schwierige Orte verbracht.) Im höchst geschmackvollen Bibliothekspavillon lungern langgestreckte Diwane und leergeräumte Regale („das paßt jetzt alles auf einen USB-Stick“) – was muß das für ein Lesen gewesen sein!

Die Kleinodien des osmanischen Nationalschatzes sind in abgedunkelten Vitrinen inszeniert, an denen die Besucher vorüberdefilieren müssen. Natürlich, den Dolch muß ich nun, wo ich den Film schon kenne, im Original sehen, und bitteschön auch den Löffelmacher-Diamanten, der einst auf einem Istanbuler Müllhaufen gefunden worden sein soll. Beide Exponate blinken kräftig! Bald stellt sich vor lauter Juwelen, Schmuck und Zierrat Übersättigung ein, zuviel Reichtum vertrage ich einfach nicht und betrachte stattdessen lieber die Menschen wie sie die effektvoll ausgeleuchteten Vitrinen betrachten, während ihr Strom mich hinfortzieht. Plötzlich stehe ich vor einem Schaukasten, in dem eine Art bronzelegierter Stock oder Ast zu sehen ist. Der Stab Mose lautet die Beschriftung. Kein Wort mehr, keines weniger. Ich bin baff. Mit diesem Werkzeug hätte ich an dieser Stelle nicht gerechnet. Könnte ich nur auf den Wunderknüppel zugreifen, würde ich umgehend die Menschenmassen teilen, um dem Palast schnellstmöglich zu entkommen. Doch er steckt hinter Panzerglas. Also tipple ich weiter im Gänsemarsch Richtung Ausgang. Und wenn mich nicht alles täuscht, habe ich im Vorübertippeln sogar noch ein paar Bartstoppeln des Profeten gesehen.

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