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Godzilla und das Museum der Unschuld

Der Tag Ende April 2012, an dem Orhan Pamuk sein „Museum der Unschuld“ (Masumiyet Müzesi) der internationalen Presse vorstellte, war wundersamerweise zugleich der Tag, an dem ich plötzlich und völlig unvermittelt Türkisch verstand. Zum ersten Mal bemerkte ich diese neue Errungenschaft auf dem Weg nach Cihangir, als ich aus einem ärmlichen Hauseingang eine schwache Frauenstimme auf die Straße dringen hörte: sie hätte da eine Bitte, sie sei nun 90 Jahre alt und könne sich kaum mehr bücken, rauche aber so gerne, und nun sei ihr das Feuerzeug entglitten, ob ich ihr nicht…? Die Frau hatte nur noch zwei Zähne im Mund und strahlte eine staubflusige Herzenswärme aus. Als sie ihr Feuerzeug wieder in Händen hielt, dimmten Glücksschimmer über ihr gegerbtes Gesicht.

Zur Pressekonferenz war ich nicht geladen, hatte aber einen Tip erhalten. Also verkleidete ich mich als Journalist, schmuggelte mich ein und tat so, als ob ich dazugehörte. Orhan Pamuk saß hinter einem mit Mikrofonen beladenen Holztisch etwa hundert enggedrängten Journalisten (oder als Journalisten Verkleideten) gegenüber. Er trug einen elegant-legeren Anzug, in dem er wie ein Nobelpreisträger steckte, und sprach auf Englisch über die Entstehensgeschichte seines Museums. Meinetwegen hätte er auch auf Türkisch referieren können, da ich die Sprache seit etwa 20 Minuten blendend verstand. Pamuk erzählte, daß das „Museum der Unschuld“, das seinen gleichnamigen Roman nun sozusagen begehbar macht, von Anfang an parallel zum Roman geplant war, aber auch völlig ohne das Buch funktionieren solle, als einziges Museum des Istanbuler Alltags, als Zeit-Raum-Konverter, als Katalysator für Erinnerungen wie sie mit dem Leben in Cihangir in den vergangenen Jahrzehnten verbunden seien oder durch den Museumsbesuch entstehen könnten.

Pamuk sprach klar, in freier Rede, souverän und mit Gewicht. Ähnlich wie in seiner Biografie „Istanbul“ (dem einzigen Buch, das ich bisher von ihm gelesen habe) drückte er sich auch mündlich völlig präzise, vielleicht schon zu präzise, jedenfalls mit dem Hang, sein Sujet einen Tick zu überlängen aus. Nach einer Dreiviertelstunde bemerkte er, daß er nun genug erklärt habe und eröffnete die Fragerunde. Was Journalisten doch bisweilen für Fragen stellen, nachdem sie soeben einer umfassenden Erklärung gelauscht haben!* Pamuk antwortete geduldig, nannte einige nicht sonderlich kluge Fragen „allgemein beliebteste Fragen“, alberte ein wenig herum, indem er seine Stimme comicartig verstellte oder antwortete mit leiser Ironie, als er auf eine „beliebte“ Frage erklärte, im Roman käme ein roter Apfel vor, der im Museum zu sehende Apfel sei jedoch, obgleich ebenfalls rot, nicht derselbe Apfel aus dem Roman. Der Schriftsteller äußerte ein paar gescheite Gemeinplätze, die auf keinerlei Widerstand stießen, hatte die Journalisten rhetorisch völlig in der Tasche und bestimmte den Zeitplan. Ein Nobelpreisträgerauftritt wie aus dem Bilderbuch.

Weiter gings in die Museumsräume. So neu im „Museum der Unschuld“ einen Tag vor der Publikumseröffnung alles war, wirkten doch die meisten Exponate und ihre Präsentation ausgesprochen nostalgisch. Pamuk hatte erwähnt, daß er insbesondere die kleinen Museen liebe. Mir geht es ähnlich. An solchen kleinen Museen hat er sich orientiert und ein liebenswertes, schlau konzipiertes Gerümpelkammer-Schmuckstückchen von edel gearbeiteter Schlichtheit auf den Weg gebracht, über dessen Wert ich mir jedoch unschlüssig bin. Letztlich läßt sich das Geschaute der Romanlektüre doch nicht recht entkoppeln, denn der Roman schwingt bei der Betrachtung immer mit – gerade auch für denjenigen, der ihn nicht gelesen hat. Vielleicht ist ein gutes Buch bereits Museum genug. Wie weit trägt die einer bestimmten Zeitspanne zugehörige Nostalgie? Wohl exakt so weit, als diese Zeit etwas wirklich Besonderes vorstellt, das sich gegen bereits vorhandene oder neue, nachwachsende Nostalgieschichten zu behaupten vermag. Eine solche Besonderheit konnte ich, so anrührend ich den vorgefundenen vitrinierten Alltag teilweise fand, zwischen all dem Pressevertretergehüpfe des Präsentationstages im Zusammenspiel der Exponate nicht ausmachen.

Nach dem Besuch von Pamuks weinrotem Museum in der hübschen Çukurcuma Cd. traf ich auf Godzilla. Er grüßte freundlich und erzählte mir lausbübisch lachend, wie er in der Gasse als Monster die kleinen Kinder erschrecke, die dann schreiend vor ihm davonliefen. Dazu stampfte er vor dem “Museum der Unschuld” herum und ruderte wild mit den Armen. Godzilla war eines dieser Freundchen, welche gerne mit Ausländern reden, ein sympathischer Rentner in diesem Fall, mit einer Godzilla-Schirmkappe. Ein paar Grundschüler kamen die Straße runter und frotzelten den Mann. Die Straße, meinte Godzilla, sei wegen des Museums komplett neu gemacht worden. Nun wurde sie von einem schweren schwarzen Mercedes mit wichtigem Kennzeichen blockiert. Ich schaute mir die Straße genauer an. Einiges an idyllischem Verfall, Pamuks Museum war so weinrot gestrichen in der hellen, grauen Umgebung ein sehr auffälliger Farbfleck. Wie wäre es, ging mir durch den Kopf, um die Gegend noch weiter aufzupeppen, direkt gegenüber das „Museum der Schuld“ einzurichten? Giftgrün müßte es angemalt, besser: angesprayt werden; das Buch dazu ließe sich später schreiben – und als Eingangsexponat stünde schon mal fest: ein nuklear leuchtender Granny Smith.

* Und was sie alles filmen! Ein zwei Tage später war ich in der „Kulturzeit“ auf 3sat als Medienvertreter zu bestaunen.

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