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Schlendern durch Istanbul (2)

„Die Arbeit fängt der Muselmann
Moschee in Allah Ruhe an“
Michael Schönen

Daß in Istanbul alles Istanbul ist, habe ich begriffen, nachdem Vergleichsmöglichkeiten mit anderen Städten zwar zahlreich ins Auge fielen, die Vergleiche auf den zweiten Blick jedoch wenig standhielten. Orient und Okzident prallten in dieser Stadt aufeinander, heißt es. Das mag sein, ich spürte jedoch keinen Aufprall. Istanbuls Straßen bestehen vielmehr aus Geschiebe. Gemischter Gemengelage. Gedrängel. Selbst ein paar tausend Kilometer tiefer im Osten sind Großstädte längst teilverwestlicht. Viel mehr als diese oft beschworene und dabei kaum je über Klischees erhabene „Kluft der Kulturen“ (wie ich sie von klein an zwischen Badenern und Schwaben kenne) interessierten mich als literarischen Gastarbeiter Berichte über Callcenter, die sich in Istanbul verstecken, und deren Mitarbeiter, zurückgewanderte Deutschtürken, unter deutschen Aliasnamen deutsche Haushalte „aus Fulda“ anrufen, um „Marketing“ zu betreiben, eine Situation, bei der, grob formuliert, im Osten Westen auf Westen prallt. Nein, falsch! Geschiebe trifft es auch hier besser als Aufprall. Im Geschiebe malmen mindestens vier Dimensionen und verspotten die übliche Berichterstattung.

Der erste Moscheebesuch meines fortgeschrittenen Lebens war eigentlich bereits der anderthalbste. Denn bevor ich die Yeni Cami betrat, war ich in der Hagia Sophia, die lange Zeit als Moschee diente und nach Ansicht einiger besonders religiöser Studenten bald auch wieder dienen soll. Lange habe ich Moscheebesuche aufgrund der Zwangsvorstellung abgelehnt, mir könnten währenddessen die Schuhe geklaut werden. Im Vergleich zu meiner restlichen Kleidung trage ich ziemlich teure Schuhe, sie haben mich über unzählige Asfaltkilometer begleitet und meine Liebste hat sie mir geschenkt, was sie mir doppelt und dreifach wertvoll macht. Hinzu kam, daß viele von Straßenhändlern angebotene Schuhe stark nach den Schuhablagen der 1001 Istanbuler Moscheen rochen. Natürlich erwies sich meine Zwangsvorstellung als irrig: jedermann darf seine Schuhe in die Moschee mit hinein nehmen, nachdem sie ausgezogen und in einem Beutel verstaut sind.

Das Innere der Yeni Cami, welche der Hagia Sofia nachempfunden ist, vermittelte eine religiös grundierte Gelassenheit, wie ich sie in Kirchen kaum je gefunden habe. Touristen wird auf Spanisch mitgeteilt, in welchem Bereich sie zurückbleiben sollten. Für meinen Gebotsübertritt interessierte sich kein Mensch: ich begab mich in eine lauschige Fensternische, ließ mich auf dem wunderbar komfortablen Teppich nieder und wartete, ob Geist auf mich kommen würde. In anderen Nischen saßen Betende, aus der Kuppel senkte sich ein Kronleuchter über den gesamten Hauptraum, das einströmende Licht verteilte sich in schönster Gleichmäßigkeit. Dem Geist waren jedenfalls Tür und Tor geöffnet. Bald erschien ein Rezitator und gab einen Sermon von sich, dessen melodische Performance einer gewissen Eintönigkeit nicht entbehrte, die sich dennoch positiv gegen nahezu alles abhob, was ich an Vergleichbarem aus deutscher Priesterkehle je zu Ohren bekam. Als ich aus der Moschee trat, sah ich den Geist als Möwe sich silbrig im Sonnenglast lösen.

Durch Zufall, ich folgte einfach einer deutschsprachigen Meute, die in der Syrischen Arkade (Suriye Pasajı) einen Treppenaufgang stürmte, geriet ich in einen stuckverzierten Siebenzimmer-Leerstand in der obersten Etage. Angekommen, bemerkte ich: die von der Meute avisierte Wohnung gehörte meinem Vermieter. Der dort hinter einem Tresen stand und sich über die Meute freute. Mein Vermieter ist einer der bekannteren Wohnungsspekulanten Beyoğlus, ein Motor der örtlichen Gentrifizierung, deren Auswirkungen er angeblich, in Anverwandlung klassischer Doppelmoral, bedauert. Gerne sähe er sich als Mäzen wahrgenommen, doch hat ihn bei Mäzenatentaten, die diesen Namen verdienten, noch selten jemand erwischt. Als ich den Beste Lage-Leerstand betrat, tippte ich auf eine vermakelte Wohnungsbesichtigung mit champagnösem Abschluß. Tatsächlich gab es eine Lyriklesung, d.h. stilles Wasser und Verweilzeit für eine zähe halbe Stunde. Bei Lyriklesungen, diesen von allseitiger Ahnungslosigkeit gefährdeten, sensitiven Darbietungen, schaue ich mir zur Ablenkung meist die Gesichter des Publikums an, entweder, weil mein Blick von der Bühne auf eben dieses Publikum fällt, oder um herauszufinden, was um Gottes Willen die Leute zu den Auftritten meiner Kollegen treibt.

Während des lyrischen Intermezzos mußte ein Satz über Amseln gefallen sein; es zog mich plötzlich mit aller Macht hinfort. Ins Hoheitsgebiet der Vögel. Dazu erklomm ich die Dachterrasse meines Wohnhauses und sann, wem wohl der Grund unterm Arsch weggentrifiziert worden war für meinen efemeren Bosporusblick. Ein quietschbunter Ornithopter querte meine Gedanken und landete im Oleander. Auf meiner Dachterrasse stehen nämlich in gewaltigen Tonnen Jasmin- und Oleanderbüsche. Wenn ich diese Büsche imitiere, werde ich bald von Spatzen angeflogen. Ich mache das nur sehr selten. Genieße vielmehr und viel lieber die Nähe zum Himmel, den supersokağischen Raum, erfüllt von Vogellauten, Schiffshupen, von Hauswänden gebrochenem Gebetsrufwaber und gelegentlichem Gewitterdonner. Drei Möwen jagten nun unter triumfierendem Gelächter einen passierscheinlosen Fischreiher. Brieftauben flatterten durch ihre Trainingsschlaufen. Mauersegler stürzten wie irre durch die Lüfte und stießen schrille Sriieps aus. Von der Gasse her maunzte es. Marie T. Martin schrieb einmal, die Katzen seien die heimlichen Besitzer Istanbuls. Ich glaube das nicht. Was sollen „heimliche Besitzer“ sein? Die Seelen der Obdachlosen und Weggentrifizierten? Die Katzen trauen sich garnichts gegen die Möwen, auf deren Dung die Stadt gewachsen ist. Und Möwen können, ganz im Gegensatz zu Katzen, fliegen, ohne dafür zuerst von Autos überfahren werden zu müssen.

Auf die Frage eines Lesers, ob es in der Türkei Tauben gäbe

„Les tourterelles nichent dans les noirs feuillages, et les gypaëtes planent au-dessus de leurs pointes sombres, traçant des grands cercles sur le ciel d`azur.“ Théophile Gautier, Constantinople

Von der Türkei habe ich bisher nicht mehr gesehen als einige Ecken Istanbuls. Es gibt in Istanbul reichlich Tauben. Darunter eine Art, die deutlich kleiner ausfällt als die am Rhein beheimateten: die sogenannte Palmtaube. Palmen konnte ich in Istanbul kaum häufiger als in Köln entdecken. Palmtauben traf ich daher entweder auf dem Straßenpflaster, oder auf Dachterrassen. Ihre geringe Größe läßt sie „jung“, ihr Gefieder in Rosttönen läßt sie modisch erscheinen: von einem geschmäcklerischen Darwinismus mit der istanbultypischen Melange aus Verfall und Neubau abgestimmt – was ihnen, zumal in einem künstlich wirkenden Künstlerviertel wie Kuledibi, einen bohèmehaften Anstrich verleiht – während sie verwirrt durchs in den Gassen großzügig ausgestreute Katzentrockenfutter schreiten. Es gibt in Istanbul desweiteren Tauben in der uns Deutschen bestens vertrauten Größe, mit den bekannten Verhaltensmustern. Es handelt sich dabei um (sic!) Türkentauben einerseits, sowie Stadt- oder Straßentauben andererseits.

Bei der Neuen Moschee (Yeni Cami) in Eminönü stieß ich auf ein lockeres Szenario von Instant-Buden, die aus dem Augenwinkel so selbstgezimmert wie transportabel aussahen und von denen bis auf eine alle außer Betrieb waren. In diesem Kabuff kauerte eine runzlige, bucklige, aus Grimms Märchen entflohene Alte. Sie wies mit der Hand auf einige Teller voller Krümel, die auf ihrem Kabufftresen standen, und schaute mich erwartungsvoll an. Ich fragte mich, welche Sorte schlichten Knabberzeugs sie mir anzubieten hätte, als sie unvermittelt einen langen Stock hervorzog und damit gegen das Budendach schlug. Sie hatte nämlich gehört (oder mittels ihres unsichtbaren Auges erkannt), daß dort oben Tauben gelandet waren. Da zündete bei mir der Funke der Erkenntnis: die Dame verkauft Taubenfutter! Fertig auf Tellern portioniert! Und damit die Tauben nicht an das Futter gelangen könnten, bevor es von einem Gönner bezahlt war, mußte sie die Vögel mit ihrem Stock vertreiben. Es heißt ja, der Handels- und der moralische Trieb schlössen sich gegenseitig aus. Dieweil der Muezzin zum Gebet rief, sah ich vor der Yeni Cami, unter Ausdruck frappanter Armseligkeit, beide Triebe sich überkreuzen.

Nachdem ich die Taube einst als Wappentier der Stadtflaneure, Lyriker, Erwerbs- und Obdachlosen („graues wetter, taubengrau…“) Kölns bedichtet habe, ist dies also eines meiner eindrücklichsten Istanbulbilder bisher: die bucklige Alte, welche die Tauben vom Taubenfutter, das sie verkauft, vertreibt. Ein simples Bild, das die gesamte Verzweiflung des Daseins geballt enthält. Die Tauben dürften in etwa die zweithäufigsten Vögel Istanbuls vorstellen. Die häufigsten sind die Möwen, die entsprechend in meiner hiesigen Textproduktion vorkommen – also mindestens eine, gerne auch zwei oder mehr pro Text. Auf den Dachplanen der Fähren verzerren sie ihre Körper bei abstrusen Schattenspielen zu Störchen oder noch aberwitzigeren Fysiognomien, im Abenddunkel gleiten sie vom Stadtlicht orangehell beleuchtet unter tiefblauen Himmeln herum – scheinbar befangen in der Möglichkeit, die ganze Himmelsweite einmal so richtig ausnutzen zu sollen. Wenn sie die Fähren begleiten, erreichen ihre kopflosen Flugformationen psychedelische Momente, die beim Betrachter zu intensivem Schwindel führen. Auf den Fähren wird zu diesem Zweck Möwenfutter verkauft und mancher Fischhändler und Restaurantbetreiber füttert seine Hausmöwe mit Sardellen, Fritten und sonstigen Lieblingsspeisen.

Desweiteren gibt es noch Kormorane und Reiher, insgesamt also vornehmlich Vögel, die größere Mengen Kot zu fabrizieren imstande sind. Der Istanbuler hat immer ein Auge am Himmel. Desweiteren gibt es noch Spatzen. Andere Vögel habe ich eher selten angetroffen. Einmal sah ich einen Hahn. Das war vor einem Hauseingang in einer Seitengasse in Cihangir. In der Fußgänger-Unterführung zum Ägyptischen Basar (Mısır Çarşısı) fliegen künstliche Vögel über den Türen der gläsernen Lädchen unermüdlich ihre Runden durch die Laserlichter. Eine Schnur hindert sie am Entkommen. Sie sind bunt angemalt und kosten 10 YTL. Am Galataturm sah ich einen künstlichen Vogel in Freiheit. D.h., ich sah zunächst in das entrückte Gesicht eines Hippies, der zugleich tänzerisch einen Flug nachzuahmen schien. So etwas habe ich schon oft gesehen, nicht selten war solcherlei Verzückung nur aufgesetzt, bzw. auf-Teufel-komm-raus selbstinduziert. Doch als ich dem Blick dieses Hippies folgte, schien mir seine Ekstase durchaus gerechtfertigt: Ein stilvoll kriegsbemalter Kunstvogel schwirrte durch die Lüfte. Mal flügelschlagend, mal segelnd, erfreute er sich, in selten gesehenen Flugkapriolen, zwei drei Meter über den Köpfen der Passanten, seiner Freiheit. Das ging minutenlang. Der Hippie wies uns Passanten auf den Vogel hin und rief ihm, beinahe zwitschernd, sanfte Freudenbezeigungen nach. Die meisten Passanten hatten freilich besseres zu tun, als den Hippie zu beachten. Der Vogel stürzte schließlich um zwei Ecken davon in eine Gasse.

Genau dieselbe Gasse übrigens, in der ich erstmals Palmtauben gesehen hatte. Damals beäugten wir uns gleichermaßen kritisch (wobei es heißt, Tauben besäßen kaum mehr als ein Spatzenhirn), die Palmtauben machten zumindest auf kritische Außendarstellung, was in diesen schnelllebigen Zeiten ja meist schon zureichend Eindruck schindet. Wir redeten nicht viel, sondern beließen es beim Beäugen. Heute grüßen wir uns, ohne zu äugen. Die Macht der Gewohnheit schwemmt vieles Unausgesprochene schnell unter den Tisch.

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